• Ankündigung
07. November 2022

Ein Artikel von Leonard Schäfer

Zum ersten Mal seit nunmehr drei Jahren traf sich die Initiative für nachhaltige Agrarlieferketten (INA) wieder mit ihren Partner*innen in Präsenz am 7. & 8.11.2022 in Berlin. Sechzig Akteur*innen aus Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik kamen unter dem Motto „Agrarlieferketten in Krisenzeiten“ zusammen und folgten unter anderem den spannenden Beiträgen von Alex Assanvo (Executive Secretary of the Initiative Cacao Côte d’Ivoire-Ghana) und Dr. Bärbel Kofler, der Parlamentarischen Staatssekretärin bei der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die Initiative für nachhaltige Agrarlieferketten möchte vernetzen, - das war der Ursprungsgedanke - Prozesse und Probleme innerhalb der Lieferketten sollen rohstoffübergreifend angegangen und unter dem Ziel der Nachhaltigkeit betrachtet werden. Diese Plattform konnten wir zwar während der Corona-Pandemie mittels virtueller Formate wie dem INA-Lunchbreak aufrechterhalten, doch kein virtuelles Meeting kann den persönlichen Austausch ersetzen. Maike Möllers, Moritz Heldmann und Jonathan Ziebula (Programmleitung INA) waren also froh, als sie die etwa 60 Teilnehmenden an den bunt gemischten Tischen begrüßen durften und dabei nicht auf einen Bildschirm mit vielen kleinen Kacheln schauen mussten. Sie stellten zunächst die Kernthemen der INA vor, die in den letzten vier Jahren Projekte pilotierte, aber auch Fonds, Beratungen und Expertise zu Rohstoffen und Themen wie Entwaldung, Living Income, Gendergerechtigkeit und Digitalisierung bietet.

Unternehmen in Krisenzeiten

Es folgten Impulsvorträge durch die anwesenden Unternehmen, die ihren Umgang mit weltweiten multiplen Krisen reflektierten. Hierbei wurde neben der schwierigen Energieversorgung, die Verdopplung von Preisen für Rohstoffe oder von Arbeitsstoffen wie Dünger hervorgehoben. Der Klimawandel als langfristige Krise hinterlässt seine Spuren überall; im Kaffeesektor wird beispielsweise davon gesprochen, dass er die Anbauflächen für Kaffee um rund 60% verringern wird.

“Es ist günstiger für die Zukunft, wenn man jetzt nachhaltiger denkt.”

©GIZ/maffei I Yuexin Liu

Norevo GmbH

 

Doch schon in diesem Themenblock klang an, dass diese Krisen nur einen Ausweg haben können. Das mittelständische Unternehmen Norevo berichtete, dass es sich schon vor einigen Jahren nachhaltiger aufgestellt hat und so von langfristigen Geschäftsbeziehungen profitierte, die auch Krisenzeiten überstehen können. Gleichzeitig habe die Energiekrise sogar dazu beigetragen, dass die ohnehin geplante Umstellung auf 100% Ökostrom nun komplettiert werden konnte.

Im Anschluss zeigte sich, warum es so wichtig ist, dass in der INA vielfältige Akteur*innen unter einem Dach zusammenkommen: Die Welthungerhilfe lenkte den Blick auf die 828 Millionen Menschen, die momentan von Hunger betroffen sind und schwenkte somit aus dem globalen Norden in den globalen Süden. Hier wirken sich die Krisen in viel existenziellerer Art und Weise auf die Bevölkerung aus und zwingen Mütter aus Nahrungsmangel beispielsweise dazu, ihre Kinder mit vergorener, alkoholhaltiger Ziegenmilch zu füttern.

„Warum trifft es immer dieselben Menschen?“

- Lisa Heinemann, Welthungerhilfe

Teil des INA-Konzeptes ist es, den Teilnehmenden ein abwechslungsreiches Programm zu bieten, das auch genug Zeit für produktiven Austausch bereithielt. So gab es neben kleinen werkstattähnlichen Gruppenarbeiten einen Projekt-Parcours, in dem an verschiedenen Ständen Projekte und Fonds vorgestellt wurden, die für Unternehmen und Produzent*innen gleichermaßen hilfreich sein können. Gegen 18.30 Uhr ging der erste ereignisreiche Tag zu Ende und das älteste Improvisationstheater Berlins Theater Sport Berlin lieferte mithilfe des Publikums eine zu hundert Prozent improvisierte Stunde ausgiebigen Lachens mit Agrarlieferkettenbezug.

Der Beginn einer jeden Lieferkette

Am zweiten Tag weckte der Kaffee Angelique’s Finest, der durch INATrace und die Kaffee Kooperative rückverfolgbar geworden ist, die Lebensgeister der Teilnehmenden. Zunächst gab es in einem Themenblock zum kommenden EU-Lieferkettengesetz aktuelle Informationen rund um die geplanten Richtlinien und  Fragen hierzu an die Referentinnen. Als Problemstelle kristallisierte sich insbesondere der starke Widerstand aus Wirtschaftslobbyverbänden heraus, der den Gesetzgebungsprozess derzeit erschwere.

Der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte wird für deutsche Unternehmen eine Anlaufstelle zu dem ab Januar 2023 in Kraft tretenden deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bieten und stellte sich auch in dieser Veranstaltung bereits den Fragen des Publikums. Den Abschluss dieses Themenblocks der Gesetzesvorhaben machte Johannes Luderich von der INA, der den Due Diligence Fund vorstellte. Mit diesem Fonds werden erfolgversprechende Ansätze zur Erfüllung unternehmerischer Sorgfaltspflichten in Unternehmen gefördert. Ab Ende November 2022 wird es einen neuen Call for Proposals geben, weitere Informationen hierzu finden Sie in Kürze auf unserer Website.

Es folgte die Rede von Dr. Bärbel Kofler, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie lenkte den Blick auf die Erzeuger*innenstaaten und welche immense Last durch die weltweiten Krisen vor Ort zu tragen sei. Lieferketten müssten neu gedacht werden, indem die Produzierenden in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, konstatierte sie. Und während Kofler sich für existenzsichernde Einkommen und Löhne aussprach, hörte bereits der nächste Redner gespannt zu: Alex Assanvo, Geschäftsführer der Côte d’Ivoire and Ghana Cocoa Initiative. Er brachte die von Frau Kofler angesprochene Perspektive eines Partnerlandes mit in das Treffen.

“Jedes Land in Europa hat einen Mindestlohn, warum wird der nicht in den Produzierendenländern gezahlt?”

©GIZ/maffei I Alex Assanvo

Initiative Cacao Côte d’Ivoire-Ghana

 

Alex Assanvo appellierte an die anwesenden Unternehmen. Es war ihm wichtig festzuhalten, dass er niemanden beschuldigen möchte, doch müsse sich jetzt etwas ändern. Eine Kleinbäuerin, die nicht genug zum Überleben verdient, die gehe in den Wald und zerstöre ihn, um ihre Familie zu ernähren, erklärt er beispielhaft und fragt dann in die Runde „Was soll die Regierung nun machen? Überall in den Wäldern Soldaten aufstellen? Und dann? Dann kommt die Bäuerin ins Gefängnis? So what!“ Er möchte jetzt kooperieren und zusammenarbeiten, damit es allen Beteiligten der Lieferkette besser ginge. Doch das sei nur möglich, wenn man die Perspektive, die Sorgen und Nöte der Partnerländer mit in die Entscheidungsprozesse einbeziehe.

Basierend auf den politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen ermittelten die Teilnehmenden in Gruppenarbeit Impulse, wie Lieferketten in Zukunft gestaltet werden können. Gleichzeitig arbeiteten sie heraus, welche Unterstützung sie auf diesem Weg noch benötigten. Einerseits wurde mehr Sensibilisierungsarbeit in den Unternehmen gefordert, sodass Nachhaltigkeit ein integralerer Bestandteil der Unternehmensstrategie wird. Andererseits wurde die Bitte geäußert, digitale Tools zu entwickeln, mithilfe derer die Einhaltung der Gesetzesvorgaben leichter zu gewährleisten sei. Die detaillierten Ergebnisse finden Sie in unserem Protokoll am Ende dieses Artikels zum Download.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Vortrag René Schmidtpeters, der als Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Betriebswirtschaftslehre insbesondere im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement forscht. Er sieht den Gegensatz aus Nachhaltigkeit und Profit als veraltet an. Dies sei lediglich eine fixe Idee, die er mit einem Beispiel aufzulösen wusste. Er stellte die Frage, warum ein Auto eine Bremse habe und beantwortete sie dem zögerlichen Publikum gleich selbst: „Um noch schneller zu fahren!“ Ein Auto ohne Bremse könne nicht schneller als ein paar Kilometer in der Stunde fahren, ohne die Insassen zu gefährden. Gleichermaßen werde die Nachhaltigkeit oft als Bremse gesehen, dabei sei sie eigentlich ein Treiber für Innovationen. Ein nachhaltiges Unternehmen sei risikoärmer und damit eine gewinnbringende und sichere Investition, doch fehle noch das Angebot auf dem Markt.

Es bleibt festzuhalten: Die großen Fragen der Zukunft können nur gemeinsam beantwortet werden, indem Produzent*innenländer und Verbraucher*innenländer zu wirklichen Partnern werden. Das Treffen hob erneut die Dringlichkeit hervor, Nachhaltigkeit zu einer Bedingung wirtschaftlichen Handelns zu machen. Nur so können die Krisen der Zukunft gestemmt werden. Es ist an der Zeit, aus den Erfahrungen der jetzigen Krisen zu lernen.

Die INA bedankt sich bei allen Akteur*innen für dieses produktive und proaktive Treffen. Wir freuen uns auf zukünftige Veranstaltungen.

Gruppenfoto vor dem artloft.Berlin I ©GIZ/maffei
Teilnehmer*innen im Gespräch I ©GIZ/maffei
Eine Teilnehmerin filmt die Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin I ©GIZ/maffei
Gruppenarbeit I ©GIZ/maffei
Alex Assanvo im Gespräch mit Maike Möllers (INA) I ©GIZ/maffei
Teilnehmerinnen im Gespräch I ©GIZ/maffei